"Brücken bauen"

"draufschauen"

Beobachten beobachten im Nachhinein beobachtet


Allem voran einmal Eines: Wenn ich jetzt von meiner KoSo-Laufbahn in der Schule berichte, dann wird das mehr oder weniger geübte Auge vielleicht sehen, dass mein Bericht nicht nur voll von Referenzen ist auf das, was ich in diesen vier Jahren erlebt habe (sonst wäre dies wohl ein schlechter Bericht); die vier Jahre KoSo, für die viele Elemente aus diesem Buch formgebend waren, waren auch voll von Impulsen auf das was und vor allem auf das wie ich hier schreibe. Sozusagen umgekehrte Referenzen. Hm...? Ich möchte damit sagen, dass KoSo die merkwürdige Eigenschaft besitzt, sich zu allem in Bezug setzen zu lassen. Man könnte diese Eigenschaft auch schlicht “universelle Einsetzbarkeit” nennen. Aber KoSo zum Einsatzfahrzeug in Alltagssituationen zu machen ist zwar eine Option, aber nur ein kleiner Teil dessen, was möglich ist. Sagen wir also nicht einsetzbar, sondern in einen Bezug setzbar. Und so lässt sich KoSo natürlich auch zu sich selbst und zur Berichterstattung über es selbst in Bezug setzen.

Ein KoSo-Prinzip mit drei Rufzeichen (!!!) ist wohl die Reflexion über den Unterschied, der einen Unterschied macht. Und schon bin ich mitten in meinem Erfahrungsbericht.

Ich habe in meinen 4 Jahren KoSo drei sehr unterschiedliche Unterrichtsformen erlebt.

Als ich am Anfang der fünften Klasse an die Sir-Karl-Popperschule wechselte, war ich in meiner Klasse eine von 24 SchülerInnen, die allesamt niemand anderen kannten und sich auch je nach Phantasie wenig bis gar nichts unter dem Fach KoSo (das damals ja noch nicht einmal so hieß) vorstellen konnten. Doch das änderte sich schnell:

Meine erste “KoSo-Phase” ist ziemlich euphorisch: Fast jede Stunde gibt es ein Kommunikations-”Spiel”, wir machen sehr viel als ganze Klasse zusammen, ich lerne meine Kollegen durch die Spiele und Übungen als Menschen kennen, Freundschaften sprießen mit großer Geschwindigkeit. Die Regelmäßigkeit der wöchentlichen Doppelstunde hilft Kontinuität zu bewahren, es findet eine deutliche Entwicklung statt. Von dieser Entwicklung hab ich allerdings am Anfang selbst wenig bewusst gemerkt. Im Vordergrund stand der Spaß an dem vielen Miteinander und an den tollen Dingen, die man da entdecken konnte. An sich selbst und an den anderen. Und Spaß am Entdecken, dass das Entdecken von sich selbst oft Hand in Hand mit dem des anderen geht. Entdecken entdecken also. Interessant. Dass ich Entdecken entdecken betrieben habe, das war mir damals aber auch noch nicht wirklich klar. Mehr spürte ich einfach eine unbestimmte Freude über das, was wir da machten; eine Freude, die vielleicht den Spaß, den ich vor meiner KoSo-Zeit beim Ausfüllen vom Psychotest im Freizeitkurier hatte, und das Glücksgefühl über ein Ergebnis mit Hand und Fuß wie nach einem schwierigen Mathebeispiel verband. Intuitiv merkte ich also, dass da spielerisch die Grundsteine für ziemlich wichtige Erkenntnisse gelegt wurden.

Und als sich dann nach einigen KoSo-Einheiten bestimmte Muster wiederholten, ähnliche Nachfragebemerkungen von unserer Lehrerin kamen, da wurde einem dann allmählich klar, was Reflexion bedeutet. Und wie hilfreich sie sein kann. Verbunden mit den Gefühlssituationen in den Spielen, eröffnet das Benennen und Reflektieren des Erlebten neue Ebenen des Kommunikationsverständnisses.

Meine zweite große “KoSo-Phase” begann dann in der siebenten Klasse: KoSo, das nun schon in allen Jahrgängen der Sir-Karl-Popper-Schule unterrichtet wurde, ist schon zu seinem Namen gelangt und wird für uns mit Eintritt in das Kurssystem vom Pflicht- zum Wahlfach. Und das sieht schon wieder verdächtig nach einem Unterschied aus, der einen Unterschied macht. Auf einmal sind wir nicht mehr 24 Leute aus einer Klasse, sondern eine etwa gleich große Gruppe aus Schülern zweier Klassen, die sich ganz bewusst für “Advanced KoSo” entschieden haben. Und noch ein zweite Variation verändert maßgeblich das Erlebnis: Wir treffen uns nun statt zur Doppeleinheit im Stundenplan etwa alle 6 Wochen zu einem Intensiv-Wochenende. Whoww, da hat man zuerst mal ein ziemlich professionell anmutendes Seminar-Gefühl. “Professioneller” im Sinn von berufsnaher werden auch die Themen: Projektmanagement, Organisationsstrukturen, undundund. Und dann kommen uns Experten besuchen, der professionelle Coach und Trainer Roman Braun, der Gruppendynamiker und Psychiater Raoul Schindler, der Erkenntnistheoretiker Markus Peschl....... Welches Wort kann ich wohl jetzt nehmen, um nicht wieder “professionell” sagen zu müssen, wenn ich erzählen will, dass in diesem Jahr auch fixiert wird, dass KoSo das Professionellste, was einem Schulfach passieren kann, zu Teil wird? Denn: KoSo wird maturabel! Und wir dürfen als erster Jahrgang ran.

Dieses Maturapioniertum war eine schöne Illustration des inneren Pioniergefühls, das wir KoSo-Schüler während der vier Jahre hatten. Ich fühlte mich als Pionierin nicht nur nach außen hin, dass ich eine der Ersten war, die den KoSo-Lehrgang vier Jahre lang in seiner Urform erlebten, sondern auch als Pionierin in der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Um-Weltlichkeit.

In dieser zweiten KoSo-Phase war mir schon einiges in Fleisch und Blut übergegangen, ich konnte differenzierte Beobachtungen formulieren und situationsadäquate und -nützliche Interpretationen entwickeln. Wir als Klasse kannten uns nun auch schon sehr gut mit allen Stärken und Schwächen, Teamwork war eine vertraute Arbeitssituation und der Fokus konnte sich auf Anderes hinwenden, mehr zum Großen, eben zu Organisations- und Gesellschaftsstrukturen, aber auch mehr zum Inneren. Als wir dann das Gravesmodell kennen lernten, das Evolutionsstadien in psychosozialen Entwicklungen allgemein beschreibt, wurde mir klar, dass das eine wie das andere, das große Außen wie das dichte Innen, mit ein- und denselben Prinzipien beschrieben werden kann. Dieser Punkt, an dem die fraktalartige Selbstähnlichkeit der von KoSo unter Beobachtung genommenen Dinge zum Thema wurde, war ein ganz wichtiger für meine eigene KoSo-Entwicklung. Ich bin nach wie vor fasziniert, wenn ich es mit selbstähnlichen und zirkulären Phänomenen zutun habe. Auch meine Maturaspezialgebiete in Mathematik und KoSo haben sich aus diesem Themenkreis abgeleitet.

Es fügt sich ja dann eigentlich auch wunderbar ins Bild, dass ich meine KoSo-Laufbahn als einen Kreis sehe. Daher auch Laufbahn. Doch obwohl man entlang einer kreisförmigen oder ovalen Laufbahn immer wieder an den gleichen Punkten vorbeikommt, kommt man insgesamt doch weiter. Bei der Reflexion blickt man auf seiner Bahn nicht nur zurück, sondern auch in die Zukunft. Und die gleiche Bahn mit den gleichen Situationen ist dann, wenn man sie wieder durchläuft, schon eine ganz andere.

Und irgendwann befand ich mich dann auf dem Teil der Bahn, den ich jetzt im Nachhinein als KoSo-”Phase 3” bezeichne. Begonnen hat er etwa zu Beginn der achten Klasse: KoSo ist weiterhin ein Wahlfach, das von vielen Reifungswilligen und einigen Interessierten ohne Maturaabsicht besucht wird. Die Stunden sind jetzt wieder wie in der fünften und sechsten Klasse im Stundenplan verankert. Das Contracting, das die Themenvorschläge für das KoSo-Finale enthält, liest sich für uns teilweise wie die Speisekarte in einem fremden Land. Doch umso größer wird der Appetit und die Neugier. In der achten Klasse, die in meinem Empfinden nahtlos in die Maturavorbereitung geht, stehen als zentrale Themen Systemtheorie und daraus resultierende Therapieansätze, Konstruktivismus und Wirklichkeitsforschung am Programm. KoSo wird philosophischer und knüpft immer wieder an die Erkenntnistheorie an, ohne jedoch theoretisch zu sein: Bezüge zum wirklichen Alltag herzustellen haben wir in den vergangenen drei Jahren viel geübt und es geht uns meist leicht von der Hand.

Aber: Knapp bevor wir in die nachschulische Freiheit entlassen werden, steht uns noch die Einladung zu einer kleinen kopernikanischen Wende im Kopf bevor. Im Prinzip kennen wir sie schon aus der fünften Klasse: “Was ich sage ist nicht ident mit dem, was du mich reden hörst.” Daraus folgten damals Konsequenzen. Und jetzt steht das gleiche Konzept auf einer anderen Ebene vor der Tür. Um den konstruktivistischen Entwurf erfahrbar zu machen, setzt uns unsere Lehrerin ohne jegliche Vorwarnung einen anti-alltäglichen Film vor. Alle sind irritiert: Manche Schüler verlassen den Raum während des Films, andere schütteln den Kopf, andere wiederum sehen ihn sich einfach von vorne bis hinten an. Zuhause auf der Suche nach Ankerpunkten zu meinen bisherigen Erfahrungen stoße ich auf die Website des Films, dort heißt es: “We do not see what we see, but (we see) what we THINK we see. We also THINK we are all kinds of things. But ARE we really?”

Die KoSo-Neugierde, die sich mit Kennenlernen von allen möglichen Modellen immer mehr zu einer Metagierde entwickelt (nach Sehen sehen und Entdecken entdecken kommt man irgendwann auf die Idee, dass man Beobachten Beobachten ja beobachten könnte) findet im konstruktivistischen Weltbild eine Art Aussichtsplattform, die neuen Weitblick bieten kann.

Ich vermute, dass an diesem Punkt nur mehr die Wenigsten den unmittelbaren Bezug zum Alltagsleben in der Welt der Kommunikation sehen, aber noch Wenigere werden das Bestehen eines Zusammenhangs leugnen. Leicht lässt sich der Bogen vom “ich sehe was ich zu sehen denke” zum “ich höre, was ich durch meine Filter zu hören gelernt habe” spannen. Ich habe diese “letzte Runde” in KoSo als Einladung zum darüber nach- und darüber hinausdenken empfunden. Doch manchmal erwisch ich mich bei allzu verstrickten Hirnspielereien, und dann freu ich mich darüber, dass KoSo auch funktioniert, wenn man einfach auf die kleinen wichtigen Dinge im Innen und Außen zu achten und zu reagieren gelernt hat.

In meinem eigenen inneren Sprachgebrauch hat sich das Wort “KoSo” schon verselbstständigt und steht nicht mehr nur zwingend für “Kommunikation und Sozialkompetenz”. In KoSo gibt es viel zu entdecken über das “Wie?” in der Kommunikation. Das “Was” eines kommunikativen Austausches kennen wir ja für gewöhnlich allzu gut (oder glauben wir zumindest zu kennen :-D). Aber WIE wird ein Satz gesprochen? Laut oder leise, bestimmt oder wankend, ...? In KoSo habe ich geübt, zu bemerken und zu formulieren, dass er SO oder SO klingt. Doch dann schickt KoSo noch eine Frage nach: “Und wenn dieser Satz SO und SO klingt, wie kann er dann verstanden werden? Was kann da alles mittransportiert werden? Dieses “SO”, wie ist es noch?” Und da sind wir dann beim KO-SO. Wie es ist und wie es wirkt. Wie es wirkt und wie es aufgenommen wird. Die Wie?-Frage ist nach der Was?-Frage die wichtigste im klassischen Schulunterricht. Aber KoSo geht eben einen Schritt weiter/höher: Gefragt wird nicht nur nach dem So, sondern auch nach dem Ko-So. Und das macht KoSo unterschiedlich zu allen anderen Fächern. Und zwar wesentlich.

KoSo hebt Grenzen auf, zwischen Lernendem und Gelerntem, zwischen Beobachter und Beobachtetem, zwischen Wissen und Können. Je nach Rahmenbedingungen wird auch einmal der Beobachter beobachtet, und der entstehende Unterschied legt nahe, die Rahmenbedingungen selbst der Beobachtung zu unterwerfen.

KoSo ist vage. KoSo kann all das werden, wovon ich geschrieben habe, es kann aber auch mehr werden und es kann vor allem anders werden. KoSo ist, was man draus macht. Mir als Schülerin gab KoSo Selbstbewusstsein, wenn eine Beobachtung, die ich äußerte, zu einem neuen Gedankengang und einer Wende im Prozess der Gruppe führte. Jeder Beitrag zählt, und dadurch kann KoSo alles werden, nur nicht nichts. Denn auch nichts ist ja bekanntlich etwas.

Renate Wustinger